SZ-Chefredakteur spricht beim CDU-Neujahrsempfang in Biberach über den Einfluß sozialer Netzwerke

03.02.2020

Groth sieht Parteien und Medien unter Druck von Rechtsaußen

gem - Biberach

Vor der Gefahr von politischen Kräften am rechten Rand, die über soziale Netzwerke versuchen, den Staat zu unterminieren, hat Hendrik Groth, Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“ beim Neujahrsempfang des CDU-Stadtverbands Biberach am Sonntag gewarnt. Demokratische Parteien und unabhängige Medien müssten dagegen klar Position beziehen und Haltung zeigen, sagte er vor rund 90 Zuhörern im Gemeindezentrum St. Martin in einer knapp einstündigen Rede.

„Wir stehen vor schwierigen Jahren“, meinte Groth mit Blick auf die politische Situation in Deutschland. Der schwindende Einfluss demokratischer Parteien wie der CDU habe auch mit den sinkenden Auflagenzahlen der Zeitungen im Land zu tun, so seine These. Das Durchschnittsalter des Lesers einer gedruckten Zeitung liege inzwischen bei 60 plus, auch die Digitalleser dieser Blätter seien inzwischen im Schnitt 50 Jahre und älter. „Für klassische Medienhäuser ist es inzwischen extrem schwierig, Menschen unter 30 Jahren zu erreichen. Die informieren sich anders“, sagte Groth. Dies müsse aber nicht zwingend nur über soziale Medien geschehen.

In jenen sieht der Chefredakteur inzwischen allerdings eine Gefahr für die liberale Demokratie. „Das sind in meinen Augen keine Medien, sondern Netzwerke.“ An Beispielen aus Brasilien und Kenia – beides Länder, in denen Groth bereits beruflich tätig war – erläuterte er, wie Wahlen durch Falschinformationen, die über WhatsApp und Facebook massenhaft verbreitet wurden, gezielt beeinflusst wurden. Wer glaube, das sei nur ein Problem von Entwicklungs- und Schwellenländer, dem hielt Groth die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten oder die Brexit-Entscheidung entgegen. „Beides wäre ohne soziale Netzwerke nicht denkbar gewesen.“ Die Liste solcher Beispiele werde immer länger. Immer wenn Entscheidungen knapp seien, schafften es Extremisten auf diese Weise, eine Mehrheit zu erzeugen, sagte Groth.

„Ich bin davon überzeugt, dass wir als seriöse Zeitung die Deutungshoheit über politische Ereignisse verloren haben“, so der Chefredakteur. Unabhängige Medien seien aber notwendig, um politische Entscheidungen seriös zu deuten und zu kommentieren. „In einer freien, demokratischen Gesellschaft ist unsere Arbeit fundamental.“ Dazu zähle auch die seriöse politische Zusammenarbeit zwischen Medien und den demokratischen Parteien. Dabei dürfe es durchaus zum Meinungsstreit zwischen einzelnen Medien oder Politikern in der Bewertung einer Sache kommen. „Was aber an Angriffen von AfD-Seite unter den Schlagworten ,Lügenpresse’ oder ,Lückenpresse’ in Richtung Zeitungen oder den öffentlich-rechtlichen Sendern kommt, ist reiner, offener Hass“, so Groth und berichtete aus eigener Erfahrung von massiven Einschüchterungsversuchen. „Ich komme damit klar, aber es nervt.“ Wenn die „Schwäbische Zeitung“ auf ihrem Onlineportal eine Flüchtlingsgeschichte veröffentliche, egal ob positiv oder negativ, „kommentieren nach 30 Sekunden die ersten Nazis – und ich sage bewusst Nazis“. Die Kommentarspalte werde von diesen bewusst mit Hassbotschaften überschwemmt.

Die AfD habe soziale Netzwerke als absolutes Kampfinstrument entdeckt. „Facebook ist inzwischen relevant für Wähler in der Altersgruppe zwischen 45 und 60 Jahren“, sagte Groth und ermunterte mit Blick auf die bescheidenen Followerzahlen der anderen Parteien: „Sie müssen lernen, die sozialen Netzwerke auch als Partei egoistisch für Ihre Ziele zu nutzen. Das wird uns als Journalisten zwar tierisch nerven, aber nur so können Sie die AfD einhegen.“  Auch er selbst verstehe sich längst nicht mehr nur als Chefredakteur einer gedruckten Zeitung, sondern auch ihrer digitalen Kanäle. Ziel sei es, den seriösen Journalismus in die digitale Zeit zu retten.

Unabhängige Medien und demokratische Parteien säßen hier in einem Boot: „Wir sind eindeutig von rechts unter Beschuss.“ Deswegen erhoffe er sich von der CDU und den anderen Parteien eine klare Positionierung, sagte Groth.

Begrüßt worden waren die Gäste zu Beginn vom CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Christian Jäger sowie dem Landtagsabgeordneten Thomas Dörflinger. Ein Trompetentrio der Bruno-Frey-Musikschule umrahmte den Empfang.

 

© Schwäbische Zeitung, Ausgabe Biberach vom 3.2.20